Page 9 - Im Dialog
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Auf diese Gegebenheiten wa- ren frühere Studentengenerationen kaum vorbereitet, da Themen wie Ökonomie, Management und Recht keine Studieninhalte waren. Jasmin ist froh, dass sie an der Charité ein Wahlpflichtfach gefunden hat, in dem ihr dieses moderne Umfeld der ärztlichen Tätigkeit vertraut gemacht wird. Es wird ihr helfen, ihr ärztliches Selbstverständnis weiterzuentwickeln.
Entsteht gerade ein neues Arzt- bild? Arzt sein ist heute zweifellos anders als z.B. vor 30 Jahren. Ärztli- che Entscheidungen, früher relativ autonom getroffen, unterliegen heute einem weitaus größeren Rechtfertigungszwang, auch gegen- über nichtärztlichen Argumenten, Maßgaben und Professionen. Und dieses Umfeld mit seinen Gesetzen,
• Gesundheitsmanagement wird zum Trend: Fachfremde Ma- nager bauen Versorgungsstruk- turen auf, in denen Ärzte nur noch spezialisierte Dienstleis- tungsfunktionen wahrnehmen. • Der gut gemeinte Denk- ansatz einer Evidence Based Medicine (EBM) lässt wichtige Kriterien der Medizin wie Huma- nität, zuwendung und Empathie weitgehend außer Acht, da sie mit den präferierten doppelblin- den Prüfkriterien nicht erfasst werden.
• Eine nahezu explosive Aus- weitung des Medizinrechts ist in ihrer Vielfalt und widersprüch- lichkeit für eine notwendige und sinnvolle Praktikabilität der Medizin kontraproduktiv.
Regeln, Urteilen und Kooperationen ändert sich immer schneller.
Auch ist das traditionelle Arzt- bild offenbar mit dem Lebensstil des beginnenden dritten Jahrtausends immer weniger kompatibel. Dieses Arztbild, entstanden in der Zeit des Hippokrates, idealisiert die indivi- duelle Beziehung zwischen Arzt und Patient und die Gemeinschaft der Ärzte. Apparatemedizin, Public Health und Ressourcenknappheit gab es darin nicht, aber solche Fak- toren haben das Arztbild seither modi ziert. Einige der alten Werte prägen das Arztbild aber bis heute; so steht immer noch die vertrau- ensvolle Arzt-Patient-Beziehung im Mittelpunkt einer humanen Medizin. Daraus leitete sich auch das bisherige Berufsideal des Haus- arztes ab, der seine Patienten oft aus jahrelanger Beziehung kennt und ihnen praktisch durchgehend bei Fragen, Sorgen, Problemen und Erkrankungen zur Verfügung steht. Aber auch dieses Ideal steht heute inirage. Das Arztbild wandelt sich, es wird „entstaubt“, modernisiert. Tendenziell zeigt sich eine Perspek- tive des Arztberufes als „Job“. Bei Feierabend werden die Behandlun- gen an Kollegen übergeben. Kom- petenzen werden auch an andere Berufsgruppen übertragen, der „be- handelnde Arzt“ wird durch ein in- terdisziplinäres Team ersetzt. Dass der Patient dabei jeden Tag neue Gesichter sieht, gefällt ihm viel- leicht nicht, teilweise kann dieser Nachteil aber durch Vernetzung und Kommunikation ausgeglichen wer- den. Dafür wird ihm z.B. die vielfach
gewünschte Zweitmeinung somit praktisch „frei Haus“ geliefert. Ärzt- liche Einzelkämpfer sind ebenso un- erwünscht wie strenge Hierarchien. Der sich um alles kümmernde und sorgende Hausarzt älteren Typs in seiner Einzelpraxis ist aus heutiger Sicht „uncool“. Entsprechend gering ist die Bereitschaft, sich mit diesem Beruf in einer ländlichen Region niederzulassen. Von 20 Studenten meines Kurses nennt vielleicht einer dieses Berufsziel.
Die gute Nachricht ist, dass mit den erheblichen Veränderungen des ärztlichen Berufsumfeldes eine Ge- neration junger Ärztinnen und Ärzte in den Beruf eingetreten ist und eintreten wird, die manche ergän- zenden Kenntnisse, Vorstellungen und Fähigkeiten mitbringt, die für die Orientierung im neuen Umfeld nützlich sind. Die sogenannte „Ge- neration Y“ geht mit einer ganz an- deren Kommunikationsbereitschaft und -erfahrung an den Berufsstart als frühere Arztgenerationen. Teamgeist und die Einbeziehung externer Information sind heute selbstverständliche Qualitäten. Der ethische Anspruch, sich bestmög- lich für den Patienten einzusetzen, ist bei den heutigen Medizinstu- denten in hohem Maße erhalten, ebenso die Bereitschaft, sich auf ein bestes wissenschaftliches Ni- veau weiterzubilden. Auch wenn der früher häu g vernachlässigten eigenen Lebensqualität nun mehr Bedeutung beigemessen wird – die Medizin der Y-Ärztinnen und -Ärzte wird dadurch nicht schlechter sein.
zuKunFT
DR. MED. ERICH SCHRöDER
Arzt und Journalist, lehrbeauftragter an der Charité universitätsklinik Berlin Gesundheitspolitischer Kooperations- partner der System Dialog Med. AG
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